Eine Neue Weltordnung


Von Shoghi Effendi (1897-1957), der älteste Enkel von 'Abdu'l-Bahá.  In seinem Testament ernannte 'Abdu'l-Bahá ihn als Hüter der Sache.  Von 1921-1957 leitete er in unermüdlicher Weise die Verwaltung der Bahá'í-Religion.

... Die Einheit des Menschengeschlechts, wie sie Bahá'u'lláh vorausschaut, umschließt die Begründung eines Weltgemeinwesens, in welchem alle Nationen, Rassen, Glaubensbekenntnisse und Klassen eng und dauerhaft vereint und die Selbständigkeit ihrer Staatsglieder und die persönliche Freiheit und Tatbereitschaft der Einzelwesen, die sie bilden, endgültig und vollständig gesichert sind. Dieses Gemeinwesen muß, so weit wir es uns vorstellen können, aus einer Weltlegislative bestehen, deren Mitglieder als die Bevollmächtigten der ganzen Menschheit die gesamten Hilfsquellen aller sie zusammensetzenden Nationen beaufsichtigen... Ein Weltscheidsgerichtshof wird seine bindende und endgültige Entscheidung in sämtlichen Streitfragen erlassen und abgeben, die zwischen den verschiedenen Gliedern dieses allumfassenden System entstehen... Eine Welthauptstadt wird als Nervenzentrum einer Weltzivilisation und als Brennpunkt wirken, in dem die einigenden Lebenskräfte zusammenlaufen und von dem ihre kraftbringenden Einflüsse ausstrahlen werden. Eine Welthilfssprache wird entweder geschaffen oder unter den bestehenden Sprachen ausgewählt und in den Schulen aller verbündeten Nationen als ein Hilfsmittel neben der jeweiligen Muttersprache gelehrt werden. Eine Weltschrift, eine Weltliteratur, ein einheitliches und allumfassendes Währungs-, Gewichts- und Maßsystem werden den Verkehr und die Verständigung unter den Nationen und Rassen der Menschheit vereinfachen und erleichtern...

Die ungeheuren Kräfte, die für den Krieg, wirtschaftlicher oder politischer Art, verzettelt und vergeudet werden, sollen solchen Zwecken zugeführt werden, die den Bereich der menschlichen Erfindungen und der technischen Entwicklung erweitern, der Steigerung der Produktionskraft, der Beseitigung von Krankheiten, der Ausdehnung wissenschaftlicher Forschungen, der Hebung des körperlichen Gesundheitszustands, der Belebung und Verfeinung des menschlichen Verstandes, ... der Verlängerung des menschlichen Lebens und der Förderung von Tätigkeiten dienen, und die das verstandesmäßige, sittliche und geistige Leben des ganzen Menschengeschlechtes anzuregen vermögen...

Das ganze Menschengeschlecht seufzt und schmachtet danach, zur Eintracht geführt zu werden und sein jahrhundertelanges Martyrium zu beendigen. Und dennoch weigert es sich hartnäckig, das Licht anzunehmen und die unumschränkte Gewalt der einen Kraft anzuerkennen, die es aus seinen Verwicklungen befreien und das jammervolle Unglück abwenden kann, welches es in den Abgrund zu stürzen droht...

Die Vereinigung der ganzen Menschheit ist das Kennzeichen der Stufe, der sich die menschliche Gesellschaft heute nähert. Die Einheit der Familie, des Stammes, des Stadstaates und der Nation ist nacheinander versucht und völlig erreicht worden. Welteinheit ist das Ziel, dem eine gequälte Menschheit zustrebt. Die Staatenbildung ist zu einem Ende gekommen. Die einer staatlichen Herrschaft anhaftende Gesetzlosigkeit nähert sich dem Höhepunkt. Eine Welt, die zur Reife heranwächst, muß diesen Fetisch aufgeben, die Einheit und Ganzheit der menschlichen Beziehungen erkennen und ein für allemal das Bauwerk errichten, das diese hauptgrundlage ihres Daseins am besten zu verkörpern vermag.1

1 Shoghi Effendi, 11. März 1936